Galerie der geplatzten Projekte
Agentur: wolke blau
Für: wolke blau, Designmonat Graz, Creative Industries Styria
Jahr: 2023
Aufgabe: Idee, Konzeption, Fotografie
Ich geb's zu: In meinen 6 Jahren bei wolke blau war nicht jeder Pitch ein Treffer. Deshalb habe ich im Mai 2023 im Rahmen des Designmonat Graz meinen Ordner mit abgelehnten Kampagnen und Projekten gelüftet und dabei ist eine wunderbare Ausstellung entstanden. Von 15. - 17. Mai 2023 wurde zur Ausstellung, der “Galerie der geplatzten Projekte”, auf den Boulevard of Broken Dreams ins LendLoft eingeladen. Hier konnten Besucher*innen einen ganz anderen Einblick in die Kreativagentur erhaschen und es wurde die Frage aufgeworfen: Wie würde die Werbelandschaft aussehen, wenn Kund*innen sich für die mutige Variante entschieden hätten?
Plakatdesign: Gloria Gietl & Sabrina Slamanig
Not all heroes wear capes, they wear bras. (2019)
Unterwäsche statt Umhang
Kunde: Damenunterwäsche Marke
Superhelden werden seit jeher als muskulöse Männer in hautengen Kostümen dargestellt. Dabei sind eigentlich Frauen die wahren Heldinnen des Alltags: Sie leisten Schwerstarbeit – von Kindererziehung über Lehrberuf und Medizin, bis hin zu Mechanikerin oder Architektin. Sie tragen aber meist keine hautengen Kostüme und Umhänge, sondern BHs.
Jeden Morgen treffen sie bewusste Entscheidungen: Welche Bluse, welche Schuhe, wie sehen meine Haare aus. Das alles sind sichtbare Elemente, die Signale an ihr Umfeld senden.
Der BH jedoch, ist für sie selbst. Der richtige BH gibt einer Frau die Selbstsicherheit, jede Situation zu meistern. Er liegt für die Außenwelt unsichtbar unter ihrer Arbeitskleidung verborgen. Aber sie weiß, dass er da ist. Und dieses Wissen alleine ist genug, um sich sexy und selbstbewusst zu fühlen. Somit wird nicht vorrangig das Produkt, sondern eine Idee verkauft, die Frauen dazu ermutigen soll sich selbst etwas Gutes zu tun.
#iamthevictim (2021)
Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt
Kunde: Gemeinnützige Organisation
Mit einer jährlichen Pro-Bono-Kampagne wollten wir als wolke blau gegen verbale sexuelle Belästigung gegenüber Frauen vorgehen. Dabei ist es oft nicht außergewöhnlich aufreizende Kleidung, die dieses Verhalten bei Männern auslöst. Berichte von Betroffenen haben gezeigt, dass es tatsächlich in jeder Situation dazu kommen kann — sei es am Arbeitsplatz, im Supermarkt oder am Weg zur Schule. Häufig sind die Kleidungsstücke, die die weiblichen Betroffenen in jener Situation getragen haben, dann so stark mit diesem Erlebnis verknüpft, dass das T-Shirt, der Rock oder die Bluse nicht mehr getragen werden können. Die Idee der Kampagne war es, ebendiese Kleidungsstücke wie Beweisstücke für das Verbrechen zu positionieren und visuell festzuhalten. Zusätzlich zu Ort, Datum und Uhrzeit wird auch ein Zitat der sexuellen Belästigung abgebildet. Aus der Kombination erschließt sich der abstoßende Kontext. Ziel der Kampagne war es, Aufmerksamkeit auf das Thema sexuelle Belästigung zu lenken und zu vermitteln, dass dieses Verhalten in keinster Weise ein Kavaliersdelikt, sondern eben ein waschechtes Verbrechen ist.
Das Leben ist nicht immer fair (2020)
Why does it always rain on me?
Kunde: Fair-Fashion Brand
Manchmal hängt einem einfach die Regenwolke überm Kopf: Der Bus fährt vor der Nase weg, die Kaffeebohnen in der Maschine sind aus und am Heimweg fährt dann noch ein Auto direkt neben dir durch die Pfütze. In der Kampagne „Das Leben ist nicht immer fair“, sollten „unfaire“ Situationen aus dem Alltag gezeigt werden, die jeder kennt. Dabei wurde bewusst der andere Weg gegangen — weg von der „always happy“- und „alles ist gut“-Werbewelt und hin mit den Betrachter*innen auf Augenhöhe. Manchmal hat man einfach Pech — aber das ist ok. Dadurch fühlen sich Betrachter*innen verstanden und können sich mit den Situationen identifizieren. Der Claim schlägt die Brücke zum Thema nachhaltiger Mode: „Das Leben ist nicht immer fair, unsere Kleidung schon.“
Bier für alle (2019)
Ein Hoch auf unsere Biertrinker*innen
Kunde: Österreichische Privatbrauerei
Wieso ist Bier-Werbung vorrangig an Männer adressiert? Egal ob im TV-Spot der Vater mit seinem Sohn auf der Alm ein Bier trinkt oder 3 Freunde am Strand auf den Sonnenuntergang anstoßen — Männer dominieren die Werbewelt von Brauereien und das, obwohl viele Frauen genauso gerne Bier trinken. Daher ist es nur logisch, diesen zeitgemäßen Schritt zu gehen und Biermarkennamen ab sofort zu gendern, um diese auch dem weiblichen Biertrinkervolk zu widmen. So wird stellvertretend aus der Biermarke „Schäfer“ kurzerhand „Schäfer*in“. Das Thema Gendern spaltete die Gesellschaft, was der Kampagne somit schon damals einen provokanten Touch gegeben hätte und zur Diskussion anregen sollte.
Gern geschehen (2019)
Anti-Ads
Kunde: Baumarktkette
Was ist Werbung, die nichts bewirbt? Was sind Ads, die nicht stören? Die Idee dieser Kampagne war es, Werbeflächen on- und offline zu besetzen, ohne diese wirklich zu bespielen und so frei von Werbung zu halten. Diese Abwesenheit von Werbung, inmitten der täglichen Flut, fällt auf. Denn manchmal ist man eben am lautesten, indem man ganz leise ist, wenn alle anderen um die Wette schreien. Offline werden Plakatwände angemietet und anstelle von Werbung, mit dem plakatiert, was sich dahinter befindet. So werden das Stadtbild bzw. die Landschaft bewahrt. Online funktioniert das ähnlich, beispielsweise mit YouTube Pre-Rolls oder Instagram Story Ads. Abgerundet wird diese Kampagnenidee durch Radiowerbung, die aus 10 Sekunden Stille besteht. Ganz im Sinne von „Wir haben diese Werbefläche gekauft, um sie frei von Werbung zu halten — gern geschehen, deine Baumarktkette.“ Das bleibt hängen und kommt gut an — denn nichts ist sympathischer als Werbung zu machen, die nicht stört.
Du merkst erst, dass sie fehlt, wenn du sie brauchst. (2022)
Was wäre, wenn es keine Pflege gäbe?
Kunde: NGO mit Pflegeschwerpunkt
Wie würden unser Alltag, unsere Lebensqualität und unsere Zukunft aussehen, wenn es keine Pflege gäbe? Für diese Kampagnenidee wurde das Gedankenexperiment „Care left undone“ auf die Spitze getrieben und ein dystopisches Bild, einer Welt, in der es keine Pflegekräfte gibt, gemalt. Durch das Entfernen des Pflegepersonals aus Pflege-Situationen, werden ihre Wichtigkeit und der vorherrschende Mangel aufgezeigt. Der Claim „Du merkst erst, dass sie fehlt, wenn du sie brauchst!“ zielt natürlich direkt auf die Betrachter*innen ab. „Pflege ist mir egal, weil ich ja gesund bin!“ zählt somit nicht mehr, denn jede*r wird im Leben einmal in eine Situation kommen, in der Pflegebedarf herrscht — sei es nach einem Unfall, durch eine Krankheit oder im Alter. Aufgrund der Abwesenheit der Pflege in der Kampagne sollten ihre Signifikanz und Unabdingbarkeit unterstrichen und ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es heute Investitionen in die Pflege braucht, um diese morgen noch in Anspruch nehmen zu können.
Yung €uro (2019)
Der sparsamste Rapper Österreichs
Kunde: Österreichische Bank
Wie erreicht man als Bank die junge Zielgruppe? Wie kann Sparen, in einer Gesellschaft, die dem Konsum frönt, cool sein? Yung €uro hat sich dem Cloud-Rap verschrieben, mit allem, was dazu gehört. Mit Autotune verzerrter Stimme rappt er über Trap Beats mit fettem Bass. Aber Punchlines über teure Designer-Kleidung und überschwänglichen Luxus sucht man bei ihm vergebens. Er ist ein echter Sparboy: Wenn er prahlt, dann nur mit seinem Bausparer, denn Yung €uro ist der sparsamste Rapper Österreichs. Er reimt mit langfristigen Sparplänen und flext mit seinem diversifizierten Aktiendepot statt mit Givenchy und Moët. Er geht damit genau in die entgegengesetzte Richtung, die Instagram und Rapper vorgeben: Gegen den Konsumwahn, die Verschwendung und den Hedonismus. Dieser Widerspruch findet sich auch im Wording der Slogans wieder. Yung €uro ist eine Kunstfigur, die die Sorgen und Gedanken der jungen Zielgruppe versteht und darstellt. Der Struggle ist halt real.
Egal woran du glaubst, Tracht geht immer (2019)
Inklusion statt Exklusivität
Kunde: Versandhaus
Vorweg muss erwähnt werden, dass hier nicht die gesamte Kampagnenidee per se abgelehnt wurde, sondern nur das abgebildete Sujet. Grundidee war es, Trachtenmode mit Personen abzulichten, die nicht dem stereotypischen, österreichischen Idealbild entsprechen. Die Kampagne schlug Wellen, denn schon das erste Sujet ging viral und landete auf den Blogs und Titelseiten des Landes und darüber hinaus. Neben einem gleichgeschlechtlichen Pärchen und einem schwarzen Model hatten wir auch eine Muslima im Dirndl mit Hijab in petto. Die Idee stieß nicht von Beginn an auf offene Ohren, aber nach ein wenig Überzeugungsarbeit konnte die Kampagne wie geplant umgesetzt werden. Leider hat sich das Versandhaus schlussendlich — nach dem Pitch, all den Meetings, dem Casting, dem Shooting und der Postproduktion — dann doch gegen das muslimische Dirndl-Model entschieden. Es war für uns nicht leicht, dem Model zu sagen, dass ihr Foto doch nicht Teil der Kampagne sein wird. Vor allem: aus welchem Grund? Deshalb wollten wir ihrem Foto zumindest einen Platz in der Ausstellung geben.
Auch als Medium-Artikel verfügbar.
Podcast
Zum Thema "Mut in der Werbung" wurde auch ein Podcast mit den Creative Industries Styria aufgezeichnet:
"Christian Taferner (Creative Director), Lukas Diemling (Grafikdesigner) und Kira Saskia Schinko (Kommunikationsberaterin) diskutieren in dieser Episode des Podcasts in Kooperation mit der Werbeagentur wolke blau unter der Moderation von Eberhard Schrempf (GF, Creative Industries Styria) live vor Publikum über Mut in der Werbung. Gemeinsam stellen sie sich die Frage, ob Werbung nur verkaufen oder auch verändern muss."
Hier geht's zum Podcast.